Mona Okroy-Hellweg
Senior Manager Marketing and Communications
IVAM Microtechnology Network
Jan. 28, 2019
Business
Mona Okroy-Hellweg
Senior Manager Marketing and Communications
IVAM Microtechnology Network

„Die nachgewiesenen Möglichkeiten von E-Health und Mobile-Health werden heute de facto noch nicht genutzt“

Dr. Gottfried H. Dutiné hatte für mehr als drei Jahrzehnte verschiedene Führungsaufgaben bei Großunternehmen wie Philips, Alcatel, Bosch und Motorola inne. Dutiné ist nach einer langjährigen internationalen Karriere seit 2012 im Ruhestand. Seit Beendigung der aktiven beruflichen Laufbahn ist er noch in verschiedenen Aufsichtsrats- und Beiratspositionen sowie als freier Managementberater tätig. Für IVAM ist er als Beiratsmitglied und als Fachgruppenleiter im Bereich „Innovationsmanagement“ aktiv.

Das Gesundheitswesen ist im Umbruch. Die alternde Gesellschaft stellt uns vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig hat sich die Medizintechnik stark weiterentwickelt. Wo sehen Sie konkrete Technologie-Trends? Welche technologischen Möglichkeiten wird es in der Zukunft zur Diagnose und Therapie geben?

Chronische Erkrankungen nehmen weiter zu, 75 % der weltweiten Gesundheitsausgaben entstehen bereits heute für die Diagnose und Therapie von chronisch Erkrankten. 

Neben den fast nicht mehr finanzierbaren Ausgaben wird der Mangel an qualifizierten Fachkräften, wie z.B. Ärzte oder Pflegepersonal immer dramatischer. Fortschritte in der Medizintechnik können zur Kostenreduzierung bei gleichzeitig verbesserter Patientenversorgung beitragen und helfen Ärzte und Pflegepersonal zu entlasten. 

Beispiele hierzu sind mit Sensoren ausgestattete Katheter für minimal-invasive chirurgische Eingriffe, digitale Gewebescanner zur Unterstützung der Pathologen oder am Körper getragene Sensoren zur besseren Diagnostik und Therapie bei Diabetes oder Herzerkrankungen.

Die Digitalisierung in allen Bereichen unseres Lebens schreitet immer weiter voran. Wird dies die Medizintechnik und damit unser Gesundheitswesen verändern?

Definitiv ja. Verglichen mit anderen Industrien oder Dienstleistern liegt der breite Einsatz der Informationstechnik im Gesundheitswesen leider noch um viele Jahre zurück. Dies ist sicherlich begründet durch fehlende Standards, unterschiedliche Interessen der Beteiligten oder unzureichende regulatorische Rahmenbedingungen. 

Nur so ist es zu erklären, dass die nachgewiesenen Möglichkeiten von „E-Health“ und „Mobile-Health“ Lösungen heute de facto noch nicht genutzt werden. Viele Krankenakten werden auch heute noch mit Block und Bleistift geführt.

Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe ermutigender Versuche für mehr Transparenz im Gesundheitswesen, z.B. im Hinblick auf Qualität und Ergebnis der Behandlung sowie die Minimierung der Gesamtkosten.

 Die Einführung der elektronischen Patientenakte, die drahtlose Übertragung von Vitalparametern und Big Data Anwendungen, z.B. zur Unterstützung bei der Entwicklung von neuen Arzneimitteln, stehen beispielhaft hierfür. Wir sollten auch nicht vergessen, dass heute nahezu jeder über ein Smartphone verfügt und wir eine nahezu flächendeckende drahtlose Breitbandversorgung haben. Dies ist eine wirklich gute Voraussetzung medizinische Dienstleistungen auch für zu Hause und unterwegs kostengünstig anbieten zu können.

Sie waren als Mitglied des Konzernvorstandes von Philips für das globale Innovationsmanagement verantwortlich und haben dabei auch eine Reihe von Akquisitionen in der Medizintechnik begleitet. Wie bereiten sich Firmen auf die neuen Entwicklungen vor?

Künftig wird der Fokus im Gesundheitswesen verstärkt auf dem „Wert und Nutzen für den Patienten“ liegen („Value Based Healthcare“). Dies und die schon genannten Herausforderungen bieten daher auch längerfristig gute Wachstumschancen. 

Die rasch fortschreitende Entwicklung von Mikroelektronik, Sensortechnologie, Material- und Informationstechnik ermöglicht die Weiterentwicklung bestehender Produkte und die Schaffung völlig neuer Lösungen für eine verbesserte und kostengünstigere Diagnostik und Therapie. Hinzu kommen neue Märkte, deren Gesundheitssysteme, nach westlichen Maßstäben gemessen, sich erst im Aufbau befinden. Weltweit werden heute von 100 Erkrankten lediglich 50 diagnostiziert und hiervon wiederum nur die Hälfte auch therapiert!

Wie sehr müssen sich Geschäftsmodelle dem Zeitalter der Digitalisierung anpassen? Welche Partner brauchen Unternehmen für die Entwicklung und den Vertrieb von zukunftsfähigen Medizintechnik-Produkten?

Zunächst gilt es die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Dies gilt für nahezu alle Unternehmensprozesse, aber auch für die Identifikation und Analyse bisher noch nicht befriedigter Kundenerfordernisse.

Innovative Lösungen werden durch die Zusammenarbeit von Firmen mit unterschiedlichsten Kompetenzen entstehen. So arbeiten Medizintechnik- und Pharmaunternehmen an der Entwicklung neuartiger Produkte und Anwendungen wesentlich enger als bisher zusammen, z.B. für die Behandlung von Diabetes, Asthma, chronischen Herzerkrankungen oder in der Chemotherapie.

Dies bietet auch große Chancen für spezialisierte kleinere Unternehmen oder Start-ups. Die Nutzung und Mitarbeit in Verbänden wie IVAM, das aktive Einbringen der Unternehmen in Netzwerke sowie die permanente Analyse des Marktgeschehens und der sich verändernden regulatorischen Rahmenbedingungen sind wichtige Voraussetzungen zur Anpassung der Geschäftsmodelle. Nur so kann die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen längerfristig gewährleistet werden.

 

Aus »inno« 65:  https://www.ivam.de/news/inno/inno_65

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